Feeds:
Beiträge
Kommentare

Archive for Mai 2014

INTERVIEW: JULIA HOLTER

Mit einer Melange aus Neuer Musik, Elektronik und Pop bescherten ihre ersten drei Alben der kalifornischen Musikern Julia Holter in den letzten Jahren bereits größeres Aufsehen und Vergleiche mit Laurie Anderson oder Kate Bush. Holter, die vorher Komposition studierte, bewegt sich im Spannungsfeld von zeitgenössischer Musiktechnologie und künstlerischen Einflüssen, die bis in die griechische Antike zurückreichen. Hintergrund ihres Debütalbums Tragedy (2011), geprägt durch Field Recordings, stimmliche Verfremdungseffekte und aufflackernder Pop-Melodik, war das Stück „Hippolytus“ von Euripides. War das Nachfolgewerk Ekstasis (2012) weniger konzeptionell ausgerichtet und auf manchen Tracks deutlicher dem Pop zugewandt, lehnt sich ihr diesjähriges Album Loud City Song an die Musical-Adaption des Romans „Gigi“ von Sidonie-Gabrielle Collette an. Entstanden ist ein kontrastreicher Streifzug durch urbane Landschaften, in denen Dynamik, Rhythmus und Spannungsaufbau noch weiter ausgereizt werden. Eingespielt wurde das Album diesmal mit einem festen Ensemble an Musikern – eine Konstellation, in der Julia Holter auch wieder auf europäischen Bühnen unterwegs war und uns dabei vor ihrem Konzert im Leipzig ein paar Fragen beantworten konnte.

Du hast letztes Jahr in den USA, Australien, Kanada und Europa gespielt. Glaubst du, dass es einen Unterschied zwischen dem Publikum in Europa und dem in Nordamerika gibt?

Ich denke nicht, dass es einen großen Unterschied gibt. Die Veranstaltungsorte sind in Europa meistens schöner, das macht es manchmal angenehmer, hier zu spielen. Das deutsche Publikum ist, wie ich finde, oft sehr ruhig und hört sehr genau zu. Obwohl ich generell sagen würde, dass wir immer ein sehr respektvolles Publikum haben. Ich bin meistens als Headliner aufgetreten, nicht im Vorprogramm, weil ich das einfach lieber mache. Die Leute sind meistens respektvoll. Wir haben ein kleineres Publikum als wir es hätten, wenn wir als Vorband bei großen Konzerten auftreten würden, aber ich mag die Intimität.

Habt ihr in Amerika ein größeres Publikum?

Nein, hier ist es viel größer.

Du spielst dieses Mal mit einer richtigen Live-Band. Beeinflusst das auf irgendeine Art Dein Songwriting?

Alle meine Platten sind unterschiedlich. Als ich „Loud City Song“ schrieb, habe ich an andere Musiker gedacht. Also war wahrscheinlich der Prozess ein etwas anderer. Poetisch gesehen hat es keinen Einfluss, vielleicht einen kleinen. Bis vor eineinhalb Jahren war ich noch nie auf Tour, also dachte ich, ich muss mit der Band touren. Ich war auch schon allein auf Tour, aber das waren nur ein paar Soloshows in den USA. Es ist großartig, ich mag es sehr, mit einer Band aufzutreten.

Dein neues Album ist sehr atmosphärisch und vermittelt eine filmische Stimmung, es gibt außerdem viel mehr Drama und Spannung. Du wurdest durch Literatur und Film beeinflusst, vor allem von der Novelle „Gigi“. Gibt es Bands, von denen du inspiriert wurdest oder kommen deine Einflüsse wirklich mehr aus Literatur und Film?

Ich mag eine Menge Musik, aber ich glaube die meisten meiner Inspirationen sind nicht musikalischer Art. Seit ich zwölf war, habe ich nonstop The Smiths gehört. Aus irgendeinem Grund habe ich sie auch kürzlich viel gehört, aber ich würde nie sagen, dass ich von The Smiths inspiriert wurde. Es ist komisch, weil das Dinge sind, die ich mag. Aber ich würde es nie hören und denken, dass ich auch so etwas machen könnte. Es ist total anders als meine Musik. Ich glaube werde mehr vom Film beeinflusst, vor allem von der Blickbewegung.

Dein neues Album erinnert mich sehr an Barry Adamsons „Moss Side Story“. Das war ein Konzeptalbum über die Gegend in Manchester, in der er aufgewachsen ist. Ich dachte dabei an die Idee der Stadt als Gestaltungsmittel. Geht es bei dem Album auch um Los Angeles?

Es geht nicht um L.A., es versucht eher eine Kulisse für eine Stadt zu erschaffen. Als ich es schrieb, habe ich vielleicht an L.A. gedacht, oder an Paris, wo „Gigi“ spielt. Aber ich würde nicht sagen, dass es über L.A. ist… aber es kann so sein. Es gibt keine Kulisse, die ich erzwingen möchte, aber es könnte L.A. sein, wenn man es so haben möchte.

Die Songs wirken alle sehr urban. Lieder wie „Maxim’s I“ sind fast schon cabaret-artig/ kabarettistisch, dann gibt es aber auch tiefere Songs wie „Hello Stranger“ oder „City Appearing“…
Viele dieser Songs sind stark inspiriert von Szenen in dem Musical. Ich könnte jetzt alle Songs und die einzelnen Szenen aufzählen, wenn du es genau wissen möchtest. Wenn du dir den Film anschaust, wirst du es vielleicht bemerken.

Also ist das Album von den visuellen Motiven beeinflusst?

Es ist sehr durch das Musical beeinflusst, was überraschend ist, weil es wie ein Hollywood-Musical ist. Aber man macht eben das, was man kennt und ich kenne dieses Musical sehr gut, ich bin damit aufgewachsen. Und dabei schaue ich nicht einmal so gern Musicals, aber es war eben da.

In letzter Zeit gibt es einige Musiker, die elektronische Avantgarde mit Pop vermischen, wie zum Beispiel Maria Minerva oder Laurel Halo. Hörst du einige der aktuellen Musiker?

Ja, ich höre Laurel Halo, ich liebe Laurel. Leider kommt die Musik, die ich höre, meistens von meinen Freunden. Es ist für mich völlig natürlich, dass man mag, was die eigenen Freunde machen, denn genau deshalb sind sie für dich als Menschen interessant, also auch als Künstler. Ich hoffe das kommt jetzt nicht falsch an. Aber ich bin auch ein großer Fan von Laurels Musik, vor allem ihrer neuen Platte. Ich glaube ihre Musik ist ganz anders als meine. Außerdem mag ich die Musik meiner Freundin Ramona, Nite Jewel.

Sie hat letztes Jahr auch hier in Leipzig gespielt.

Oh, cool. Sie ist eine sehr, sehr interessante und brilliante Musikerin. Genau wie ihr Mann, der mit mir gemeinsam die Platte produziert hat. Ich bin da etwas voreingenommen. Aber ich mag auch sehr viele Musiker, die ich nicht persönlich kenne. Ein Problem ist, dass ich mich nicht genug auf dem Laufenden halte, was die aktuelle Musik angeht. Heute habe ich Tame Impala gehört, das ist neu, oder? Ich kenne sie nicht so gut, aber es scheint gut zu sein. Übrigens hat meine Mutter die Platte gekauft, meine Eltern sind ziemlich cool.

Es ist gut, wenn man Eltern hat, die auf dem neusten Stand bleiben. Von der klassischen Ausbildung abgesehen hast du auch Komposition studiert, aber du bist Autodidaktin, was die Produktion angeht. Also hast du verschiedene Herangehensweisen an die Musik. Sind das Schreiben von Popmusik und klassischer Musik für dich zwei gegensätzliche Dinge?

Wenn ich Musik mache, versuche ich nicht daran zu denken, was das für eine Art von Musik ist, weil es im Grunde den ganzen Vibe herausnimmt. Man muss nur herausfinden, was man poetisch gesehen damit anstellen will. Das bringt mich dann unterbewusst weiter, musikalisch. Das ist nichts, was ich strategisch betrachte. So wie meine Songs am Ende werden hat viel damit zu tun, was vorher sehr intuitiv passiert ist. Es ist kein Plan, den ich gemacht habe, es passiert irgendwie natürlich, aber nicht auf eine klare und logische Weise. Ich setze mich einfach ans Klavier und habe ein paar Worte geschrieben, dann spiele ich diese Worte und was auch immer dabei herauskommt, wenn es funktioniert, nutze ich es später.

Junge Künstler haben durch das Internet heutzutage Zugang zu einer großen Auswahl an Musik, wo man grundsätzlich alles anhören kann, was jemals veröffentlicht wurde. Glaubst du, dass es trotzdem möglich ist, noch etwas zu produzieren, was einzigartig ist?

Darüber denke ich wirklich nicht viel nach. Man macht nie etwas völlig Einzigartiges. Die Leute waren überrascht, dass ich Material aus einer griechischen Tragödie für das „Tragedy“-Album benutzt habe. Die ganze Historie der Kunstproduktion ist ein System des Borgens. Wir borgen uns Dinge von den vorangegangenen Generationen. Nichts wird jemals wirklich einzigartig sein, die Idee der Einzigartigkeit ist vielmehr ein Konzept, das in jedem Fall auch komplett zerstört werden kann. Es ist also schwer zu sagen, ob etwas einzigartig ist.

Mein Eindruck ist, dass die jüngeren Leute, die mit dem Internet aufgewachsen sind, sehr verschieden Geschmäcker haben, sie hören nicht nur eine bestimmte Art von Musik.

Das stimmt, es passiert einfach. Ich weiß nicht, ob es etwas Gutes ist, es ist einfach so. Für mich ist das in Ordnung, so liegen die Dinge eben. Es ist auch interessant, dass es einmal nicht so war.

Was denkst du darüber, dass immer mehr Leute elektronische Musikprogramme nutzen? Ist das eine demokratische Angelegenheit, dass man anspruchsvolle Software nutzt, ohne über musikalisches Vorwissen zu verfügen?

Es ist einfach das, was es ist. Ein Instrument ist ein Instrument. Ich finde nicht, dass man Musik unbedingt studiert haben muss. Ich glaube, man macht es dann anders, aber es macht es nicht besser, wenn du Musik studierst. Das ist etwas, woran ich persönlich nicht glaube. Manche Leute haben Standards und sie sagen, dass man Musik studieren muss. Ich denke, dass man ein starkes poetisches Feingefühl haben, hart arbeiten und sich konzentrieren muss. Man kann es aber selbst lernen. Ich denke, dass ein Großteil der akademischen Musikwelt oder Musik zu studieren im Allgemeinen ein Klassending ist. Manche Leute haben einfach nicht die Möglichkeiten. Macht sie das zu schlechteren Musikern? Nein, das glaube ich nicht.

Gibt es Überschneidungen vom akademischen Ansatz, (das heißt) den avantgardistischen Kompositionen mit der Popwelt?

Ich habe viele Freunde, die Komponisten sind und deren Musik die Tradition von John Cage ausstrahlt. Sie machen neue Sachen, aber sie wurden stark durch John Cage inspiriert. Ich trete auch mit der Musik meiner Freunde auf, so arbeite ich mit verschiedenen Arten von Musik. Natürlich kann ich die Unterschiede einigermaßen erkennen, aber ich sehe sie nicht als große Hindernisse.

Du erwähntest, dass du oft die Musik hörst, die deine Freunde gemacht haben. Gibt es im Moment in L.A. irgendeine interessante Musikszene?

Ich weiß nichts über die Musikszene in L.A., ich bin zu selten da. Dort ist es sehr kompliziert. Ich glaube, es gibt dort gar keine feste Szene mehr. Es ist vielmehr so, dass sie alle Individuen in ihrer eigenen Welt sind, weil alles sehr verstreut ist.

Vor ein paar Jahren bist du auf der Kompilation „4 Women No Cry“ von Gudrun Gut aufgetaucht. Würdest du in Betracht ziehen, wieder mit ihr oder ihrem Label zusammen zu arbeiten?

Auf jeden Fall würde ich wieder mit ihr arbeiten, natürlich. Lucrecia [Dalt], die heute Abend mit uns spielt, war auch auf der Compilation, so haben wir uns übrigens kennengelernt. Gudrun ist wirklich cool, weil sie Stil hat. Ich mag das, was sie macht und ich liebe ihr Plattenlabel.

Interview: Matthias Freytag

Übersetzung: Peggy Spitzner

Das Interview erschien in gekürzter Version im Original in der Ausgabe 5 Get Happy!?-Magazins.

Read Full Post »