Regisseur Tran Anh Hung hat sich an die Verfilmung des Bestsellers von Haruki Murakami gewagt. Entstanden ist ein Coming-of-Age-Film über das Erwachsenwerden, der im Tokio der Sechziger Jahre angesiedelt ist.
Im Mittelpunkt der Handlung von Naokos Lächeln stehen die Erinnerungen von Toru Watanabe (Kenichi Matsuyama), der auf einen wichtigen Scheideweg seiner Jugendjahre zurück blickt. Während seiner Studienzeit in Tokio hat er eine Wiederbegegnung mit Naoko (Rinko Kikuchi). Der Selbstmord ihres gemeinsamen Jugendfreundes Kizuki beendete das jugendliche Idyll der drei Freunde für immer – ein Umstand, den beide auf andere Weise verdrängen. Während Toru an der Universität zunächst Ablenkung findet, wählt Naoko den Weg des Rückzugs in sich selbst.
Ein politischer Subtext wird erkennbar: die japanische Gesellschaft befindet sich im Wandel, der sich in Form von Studentenprotesten und einer Hinwendung zum westlichen Lebensstil und Konsumverhalten äußert. Als Antagonist fungiert Torus Studienfreund Nagasawa (Tetsuji Tamayama), der aufstiegsorientiert denkt, in seiner Sexualmoral aber recht freizügig ist. Nagasawa neigt zu Affären und schlägt ihm gönnerhaft einen Partnertausch mit seiner Freundin Hatsumi (Eriko Hatsune) vor. Toru selbst bleibt jedoch ein Außenstehender, der schließlich über Midori (Kiko Mizuhara) Anschluss an die Gegenwart findet. Sie erscheint ihm unabhängig und frei von traditionellen Bindungen. Es ist dieser Zwiespalt, der den Film voran treibt: Torus emotionales Pendeln zwischen der lebensfrohen Midori und Naoko, zu der er sich durch gemeinsam erlittenes Schicksal weiterhin hingezogen fühlt.
Anspruch des vietnamesischen Regisseurs war es, dem im nostalgischen Rückblick erzählten Roman einer Atmosphäre des unmittelbar erlebten Schmerzes zu unterziehen. Gleichzeitig spielt er mit dem imaginierten Bild eines Zeitgeistes. Ähnlich wie Bertoluccis Film Die Träumer nimmt das Dargestellte selbstreferentielle Konturen an und reüssiert ein Bild der Sechziger Jahre, deren Aufbruchstimmung und Hoffnungen aus früheren künstlerischen Darstellungen bekannt sind. In den sich über die Zeit wandelnden Verhältnissen der Protagonisten ist eine Nähe zu den Nouvelle Vague-Filmen Francois Truffauts oder Eric Rohmers zu erkennen. Die Protagonisten werden in einer Lebensphase verfolgt, die von zwischenmenschlichen Wünschen und deren Scheitern geprägt ist. Leitmotiv von Torus Erinnerung ist der Beatles-Song „Norwegian Wood“ (Titel des Romans von Hurakami und im Original), der in ihm alte Gefühle wach ruft. Naokos Lächeln wird insofern auch dem Werk Murakamis gerecht, der stark die Elemente westlicher Popkultur in seine Romane einfließen lässt.
Regisseur Tran Anh Hung arbeitet mit streng durchkomponierten Bildern. Subtilität ist ein wichtiges Merkmal. Vor allem Matsuyama und Kikuchi (als Toru und Naoko) verleihen ihren Szenen eine beklemmende Intimität, die im Minenspiel der Schauspieler besser zur Geltung kommt als in den Dialogen. Die Filmsprache von Naokos Lächeln lebt nicht nur von ihrer betonten Langsamkeit, sondern auch vom Einsatz des Raumes. Während die Lebendigkeit Midoris oft durch Begegnungen in öffentlichen Räumen und im Tageslicht dargestellt wird, kontrastiert dies mit den intimen Szenen Naokos in engen Zimmern oder menschenleeren, weiten Landschaften, in denen beide Protagonisten etwa nach einer langen Kamerafahrt förmlich verschwinden. Für eine schwermütige Stimmung sorgt ebenso die musikalische Untermalung von Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood, die vor allem gegen Ende des Films in ihrer kargen Direktheit eindringlich wirkt. Der Suizid des Jugendfreundes Kizukis ist ein wiederkehrendes Motiv des freiwilligen Ausscheidens aus einer Welt, deren Zugang man nicht mehr findet. Toru muss sich entscheiden, welchen Weg er wählt und sich dabei der Frage stellen, ob er bereit ist, Erlebtes hinter sich zu lassen: eine Vergangenheit, die in der Erinnerung schön, aber statisch ist.
Erstveröffentlichung dieses Artikels bei generation-news.eu