Dieses Interview erschien bereits einmal im August 2011 auf dem Online-Portal generation-news.eu im Rahmen der Fussball-Weltmeisterschaft der Frauen in Deutschland. Anja Pioch, die seit 20 Jahren als Spielerin aktiv ist und derzeit bei Roter Stern Leipzig spielt, sprach hierbei über die Möglichkeiten des Turniers für die Entwicklung des Frauenfußballs.
Zum Zeitpunkt Deines Karrierebeginns war Frauenfußball noch nicht so professionalisiert wie heute. Wie war die Situation damals und wie hast du als Spielerin die Entwicklung aus sportlicher Sicht erlebt?
ANJA PIOCH: Als ich 1991 angefangen habe, gab es keine Mädchenmannschaften und nur wenige Vereine, in denen Fußball für Frauen angeboten wurde. Das Spielniveau ist seitdem ebenso gewachsen wie das Trainingsniveau: Zu meiner Anfangszeit sind wir nur gerannt, da dachte ich, dass wir für die Leichtathletik-WM trainieren. Mittlerweile sind mehr ausgebildete Trainer und Trainerinnen in den Bereich Frauenfußball hinein gegangen, Struktur und Wissen sind dazu gekommen.
Die WM der Frauen wurde teilweise von sehr fragwürdigen Werbeaktionen begleitet, die nicht die Qualität, sondern die Attraktivität der Spielerinnen in den Vordergrund rückten. Inwiefern hat sich das öffentliche Bild des Frauenfußballs gewandelt?
AP: Ein Wandel findet schon seit dem Gewinn des WM-Titels in den USA 2003 statt und wird stark vom DFB forciert. In den neunziger Jahren hat man immer von „Mannsweibern“ gesprochen. Der gängige Tenor war, dass die Spielerinnen stets homosexuell sein müssten und dieses Bild war sehr negativ belegt. Wobei überhaupt nichts Schlimmes daran ist, athletisch auszusehen. Aber dieser Image-Wandel wird von sehr vielen getragen. Monika Staab, die in den achtziger und neunziger Jahren im Frauenfußball als Spielerin, Trainerin und Förderin viel bewegt hat, erwähnte neulich auf einem Vortrag, dass Birgit Prinz lange Haare trägt, seit sie 2004 in Amerika war. Das ist für das Sportliche komplett unwichtig, sondern nur für ökonomische und mediale Gesichtspunkte. Es gibt ein bestehendes Rollenbild, wie Frauen auszusehen haben, das ganz stark bedient wird. David Beckham ist bei den Männern eine solche Ikone: Ein Bild, das sich gut verkaufen lässt und das viele nachahmen. Da nimmt sich der Frauenfussball nicht aus.
Die andere große Vermarktungskampagne war der Patriotismus, indem die WM der Frauen als Fortsetzung des „Sommermärchens“ 2006 inszeniert wurde. Wie siehst Du diesen Aspekt?
AP: Ich glaube nicht, dass das Patriotische eine große Rolle gespielt hat, da die Zuschauer in den Stadien recht unvoreingenommen waren. Bei den Deutschland-Spielen gab es Pfiffe gegen das deutsche Team, beim Spiel USA gegen Nordkorea in Dresden habe ich erlebt, dass gute Aktionen beider Teams mit Beifall belohnt wurden. Es fand halt zeitlich kein anderes Event statt, das mit der Aufmerksamkeit einer WM vergleichbar ist. Außerdem hat der DFB seine Werbepartner auf das Event fokussiert, wodurch es für Medien und Sponsoren als ein Muss gesehen wurde.
Glaubst Du, dass das Interesse nach der WM in irgendeiner Form erhalten bleibt?
AP: Mein Gefühl sagt mir, dass es keine größere Relevanz erhalten wird, weil es wirtschaftlich nicht stark genug ist. Im Schnitt kommen in der Bundesliga meist nur um die 700 Zuschauer, wobei Turbine Potsdam, FFC Frankfurt und FCR Duisburg klar herausstechen. Interessant wird, wie die Vereine an die potentiellen Zuschauer treten. In Jena z.B. ist es so, dass man bei einem Kauf einer Karte eines Basketballspiels zusätzlich ermäßigt ein Frauenfußballspiel des USV Jena ansehen kann. Solche Kooperationsmodelle könnten interessant sein. Aber es wird keinen signifikanten Anstieg geben.
Eine andere Möglichkeit wäre, Spiele von Männern und Frauen stärker miteinander zu koppeln. Ist dies zumindest für Ligaspiele denkbar?
AP: Eine solche Kopplung gab ja schon mal beim DFB-Pokalfinale. Damit waren viele Verantwortliche im Frauenbereich des DFB unzufrieden, weil nur 10.000 Leute im Berliner Olympiastadion waren, wo mit Anpfiff des Männerspiels 70.000 Platz genommen hatten. Allerdings finde ich es auch nicht gut, wenn man Frauenfußball als eine eigene Sportart abgrenzt. Damit verwehrt man Frauen den Zugang in einen Bereich, der in Deutschland ganz klar männlich konnotiert ist.
Die FIFA verbietet in ihren Statuten gemischte Teams, sonst steht in den Regelwerken nichts Genaueres dazu. Auch auf Vereins- und Verbandsebene findet man kaum Frauen. Welche Möglichkeiten könnte es da in Zukunft geben?
AP: In Italien und England ist es möglich, dass Frauen bei Männer-Teams spielen können, beim DFB ist es untersagt. Vergleicht man die wirtschaftlichen Möglichkeiten eines Fußballers und einer Fußballerin, dann sieht man, dass einer talentierten Frau letztendlich ein Berufswunsch verwehrt wird, wenn man ihr nicht die Möglichkeit gibt, in der 4. Liga der Männer zu spielen, wo wesentlich mehr Geld gezahlt wird als in der 1. Bundesliga der Frauen. In den Vereinen selbst und unten an der Basis ist es immer noch außergewöhnlich, wenn sich Frauen engagieren. Managerinnen gab es teilweise, aber das sind rare Ausnahmen. Irgendwann wird es auch eine Trainerin im männlichen Bereich geben, aber das bedarf einer zeitlichen Entwicklung.
Während der WM sagte die nigerianische Trainerin Eucharia Uche, dass Homosexualität moralisch falsch sei. Bei den Männer ist das immer noch ein absolutes Tabuthema, wie ist das bei den Frauen?
AP: Diese Aussage über einen Priester, der dafür betet, Homosexualität auszutreiben, kommt aus einem Umfeld mit gänzlich anderen Moralansichten. So etwas wird hier natürlich anders verstanden als in Nigeria. Unter den Männern ist Homosexualität kein Thema, da damit Begriffe wie Verweichlichung assoziiert werden. Marcus Urbans Buch „Versteckspieler“ zeigt sehr deutlich, wie schwierig das ist. Bei den Frauen wird es nicht mehr versteckt gehalten. Zwar heißt es immer, dass der DFB niemandem etwas verbietet, aber das sah mal anders aus: Bei der WM nach den „Gay Games“ 1990 gab es eine interne Ansage, dass, wer bei den Gay Games teilnahm, nicht zur WM mitgenommen wird. Es gab damals keine öffentliche Homosexualität oder Bisexualität, wie es heute etwa bei Uschi Holl oder Nadine Angerer der Fall ist. Auch die unterschiedliche Wahrnehmung von Schwulen und Lesben spielt eine Rolle. Einerseits wird bei Frauen nochmal stärker diskriminiert, nach dem Motto „Komm Mädchen, da muss nur mal der Richtige kommen.“, andererseits wird es dadurch nicht in einer so starken Form wahrgenommen.
Würde ein Outing eines bekannten Spielers dieser Sache viel bringen?
AP: Ich hoffe, dass sich niemand so schnell outet, weil scheinbar alle nur darauf warten und es eigentlich Privatsache ist. Es gibt Persönlichkeitsrechte, nach denen man beim Fußballspielen nicht bewertet werden sollte, was für einen Bundesligaspieler ohnehin extrem schwierig ist. Selbst bei meinem Amateurvertrag habe ich Teile meiner Persönlichkeitsrechte abgegeben, weil im Vertrag steht, dass der DFB über meine Bild- und Tonrechte verfügen kann.
Ist es denkbar,dass durch die WM mehr Mädchen oder Frauen dazu animiert werden, selbst Fußball zu spielen?
AP: Ein belächeltes Thema ist es ja nicht mehr, wozu auch der DFB mit der Aktion „Mädchen spielen Fussball“ beiträgt. Anders als vor zehn Jahren wird im Nachwuchsbereich heute gleich viel gefördert wie bei den Männern und es gibt viele Leistungszentren. Den Boom gibt es ja schon spätestens seit dem Gewinn der WM in China 2007. Seitdem sind viele Mädchen in Vereine gegangen. Ich denke, dass das 2011 nochmal verstärkt wird, allerdings nicht sprunghaft. Irgendwann hat man einen Punkt erreicht hat, an dem es keinen starken Zulauf mehr gibt.
Anja Pioch spielt seit 20 Jahren aktiv Fussball. Angefangen hat die Mittelfeldspielerin im Jungsteam, das sie aufgrund von DFB-Regularien später verlassen musste. Während ihrer Karriere spielte sie in verschiedenen Klassen, unter anderem für Leipziger FC 07, Lokomotive Leipzig und zuletzt für den Bundesligisten FF USV Jena. Seit der Saison 2010/11 spielt sie bei Roter Stern Leipzig, einem Verein, dem sie sich bereits länger als Fan verbunden fühlt.
Interview: Matthias Freytag
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